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Der Alltag eines Mörders

 

Freitag Abend 1:19 Uhr. Es war ganz still auf der Steinbeißer-Straße. Nur aus einzelnen Fenstern drang noch Licht. Um diese Uhrzeit schlafen die meisten Leute schon. Die perfekte Zeit für das, was Type vorhatte. 1:20 Uhr. „Los gehts!“, dachte er und grinste unter dem schwarzen Tuch, das er sich um den Mund gehängt hatte, um nicht aufzufallen. Im Schatten der Nacht sprintete er los. Sein schwarzer Mantel flatterte im kühlen Nachtwind und der lange, silbern glänzende Dolch in seiner Hand blitzte mehrmals bedrohlich auf. Mit der anderen Hand hielt er seinen schwarzen Hut fest, den er sich tief ins Gesicht gezogen hatte.

Endlich war er am Häuserblock 23 angekommen. „Eigentlich sollte ich mich schämen, dass ich solche Aufträge annehme!“, dachte er und drückte die Türklinke herunter. Abgeschlossen. Was hatte er anderes erwartet? Type zückte seine Kreditkarte und schob sie vorsichtig in den Türspalt. Klick! Die Tür war offen.

Er rannte die Treppe in den zweiten Stock herauf. Auf dem vergilbten Klingelschild prangten die Worte: „Familie Schröder“. Die Tür war einen Spalt breit offen und es drang Licht in den finsteren Korridor. Die Stimmen von Fernsehmoderatoren erklangen. Type schob die Tür noch ein Stückchen weiter auf, sodass er gerade noch hindurch passte, quetsche sich durch den sich nun bietenden Türspalt und schaute in einen kurzen Flur. Auf dem Boden lag überall verstreut Spielzeug. Fast wäre Type auf einer Baby-Puppe ausgerutscht, doch er konnte sich gerade noch halten. Er schlich weiter und gelangte geradewegs zu einer Tür, aus der die Stimmen am lautesten schienen. Es war das Wohnzimmer, in dem ein mit Dosenbier bestückter, rundbäuchiger Mann auf einem Sessel saß und sich einen Krimi im Fernsehen ansah. Type schlich gebügt zum Sessel und hätte dabei fast einen kleinen Turm aus Holzklötzchen umgeworfen. Der Mann hatte dies scheinbar nicht bemerkt, er kratzte sich am Bauch und zappte dabei ein paar Kanäle weiter. Types Herz pulsierte so stark, dass er fürchtete, dass man ihn allein daran schon bemerken könnte. Aber er riss sich zusammen und hielt den Dolch noch fester. Als er hinter dem Sessel angekommen war, holte er mit dem Dolch aus und stach so fest er konnte durch die Sessellehne. Draußen auf der Straße war ein gedämpfter Schrei zu hören. Rotes Blut rann am Dolch herunter und tropfte auf Types Hand. Der Sessel auf den der Mann saß war vorher noch grün-grau gewesen. Jetzt färbte er sich in einem erschreckendem Rot-Ton. Plötzlich drang eine Frauenstimme aus dem Schlafzimmer und ein ca. drei Jahre altes Kind fing an zu Schreien. „Frank? Frank ist alles in Ordnung?“ Nun waren Schritte, nur schwer unter dem Lärm, den das Kind veranstaltete, zu hören.

Nun musste sich Type beeilen. Er schnitt der Leiche noch kurz einen Finger ab, wischte den blutverschmierten Dolch an der Sessellehne sauber und spurtete dann durch den kleinen Flur zurück in das Treppengeschoss. Mit einem lässigen Bewegungsablauf sprang er über das Treppengeländer und landete im ersten Stock. Er rollte sich ab und riss kurz darauf die Haustür auf. Frische Luft wehte ihm ins Gesicht und es erinnerte ihn ein wenig an die Ostsee.

Nun war aber keine Zeit für Träumereien! Type musste sich beeilen und den Finger so schnell wie möglich seinem Auftraggeber überreichen.

Mit dem Geld, welches er dann bekommen würde, könnte er sich ruhig ein paar Tage zurück lehnen und entspannen oder vielleicht in die Niederlande fahren, bis dann alles wieder ruhig sein würde.

Er rannte um vier Häuserecken immer weiter und weiter. Dann sah er sein Auto. Es war ein total verschlammter Ford, der den Anschein erweckt, als wäre er einmal grün gewesen. Nicht mal das Nummernschild konnte man noch entdecken.

Type riss die Wagentür auf und schmiss sich hinein. Obwohl sein Herz wahrscheinlich kurz vor dem Stillstand war, fuhr er doch gelassen und versuchte so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf sich zu ziehen, was um 1:40 Uhr nun wirklich nicht schwer war.

Außerhalb der Stadt machte Type Rast, kaufte sich ein Brötchen mit Leberwurst und übernachtete in seinem Wagen. Nicht, dass er es nötig gehabt hätte, er hatte eine Wohnung, nur es erschien ihm diese Nacht deutlich sicherer. Morgen würde er den Finger so schnell er könnte seinem Auftraggeber zeigen und das Geld kassieren.

Am nächsten Morgen wachte Type mit Nackenschmerzen in seinem Auto auf. Auf seinem Bauch lag ein kleiner zusammen gefalteter Zettel, auf dem stand: „11:00 Uhr Wasserstraße 39! Mystik“. Der Zettel stammte von seinem Auftraggeber. Wie konnte er ihn finden? Type schaute auf seine Armbanduhr: Schon 10:20 Uhr? „Fuck!“, sagte er laut, rappelte sich auf und drehte den Zündschlüssel. Rooohm... Der Motor ging an und wieder aus. Type schaute auf die Tankanzeige: Kein Sprit mehr! „Nein!“ Zum Glück hatte er sein Auto hinter der Tankstelle geparkt. Er tankte, bezahlte und fuhr los. „Hoffentlich passiert jetzt nichts mehr“, dachte er und fuhr in Richtung Stadt.

Die Wasserstraße lag weiter weg als Type erwartet hatte, denn er kam fünf Minuten zu spät. Das Haus Nummer 32 war ein marodes, baufälliges Haus, das den Anschein erweckte, dass es jeden Moment zusammen stürzen könnte. Type ging zielstrebig auf die Haustür zu und öffnete sie. Drinnen stank es nach vermodertem Holz und durch die vielen kleinen Löcher in der Wand drangen vereinzelte Lichtstrahlen in den dunklen Raum. Es gab nur zwei Türen: Die, durch die er gerade gekommen war und eine, vor der zwei riesige Männer mit vernarbten Gesichtern und schwarzen Anzügen standen.

Einer der Männer sagte: „Du wirst bereits erwartet!“ und öffnete die Tür.

Dahinter lag ein kleiner dunkler Raum, in dem nur ein Schrank und ein Tisch, auf dem ein Handy lag, standen. Type schaute sich um. Plötzlich begann das Handy zu klingeln und er ging ans Handy. Die Nummer war unterdrückt und die Stimme des Anrufers mit einem Stimmverzerrer verstellt. Alles war genau so wie es damals war, als er den Auftrag angenommen hatte. Die verzerrte Stimme sagte: „Hast du deinen Auftrag ausgeführt?“ „Ja!“, sagte Type und hielt den Finger des Mannes hoch. Er wusste, dass irgendwo im Raum eine Kamera installiert war, nur nicht wo! „Gut! In dem Schrank dort drüben liegt die abgemachte Belohnung!“, sagte die Stimme. Type ging zum Schrank, öffnete ihn und nahm einen schwarzen Aktenkoffer heraus. Er legte ihn auf den Tisch und zählte einmal grob durch. „Hey, das sind ja nur 5000 Euro!“, rief Type in das Handy. „Ja, wie abgemacht!“ „Ne, ne, ne, so läuft das nicht! Der Typ hatte `ne Frau und ein Kind, das macht nochmal 500 Mäuse mehr! Ich hatte gesagt ihr sollt mir alles über diesen Mann erzählen! Hätte ich das gewusst, hätte ich direkt mehr verlangt!“, schrie Type. „Ob er nun eine Frau und ein Kind hatte oder nicht, du wirst nicht mehr bekommen! Außerdem kann ich ihnen jetzt schlecht 500 Euro zukommen lassen!“ Type lies eine Menge Schimpfwörter auf den Mann mit dem Stimmverzerrer einregnen, doch gab sich schließlich geschlagen: „Na gut, dieses eine mal mach ich eine Ausnahme!“, sagte er und legte auf.

Grimmig stapfte er in Richtung Tür. Schwungvoll wurde sie aufgeschmissen und knallte gegen einen der beiden Männer in den Anzügen. Der wiederum brummte nur und drückte die Tür behutsam wieder zu.

Schnellen Schrittes ging Type zu seinem Auto, öffnete die Wagentür und sprang hinein. Hätte er gewusst, dass der Mann eine Frau und ein Kind hatte, hätte er den Auftrag vielleicht gar nicht angenommen. Er hatte selbst einmal eine Frau und eine kleine Tochter. Sie wurden beide entführt und bei einem Fluchtversuch umgebracht. Type hatte daraufhin alles daran gesetzt die Entführer umzubringen, um Rache zu nehmen. Das ist dann mit der Zeit zu seinem Beruf geworden. Es ist ein hartes Geschäft, dass wusste er, doch trotzdem konnte er es nicht lassen.

Die nächsten Tage würde er in einem Hotel übernachten, dass war vorerst sicherer. Er würde warten bis Gras über die Sache gewachsen war und dann erst zurück in seine alte Wohnung gehen.

Nach fünf Tagen der Langeweile und Faulheit machte sich Type wieder auf den Weg nach Hause. In den Nachrichten wurde ganz groß über den Mord berichtet, anscheinend war dieser Mann ein zumindest halbwegs bekannter Wissenschaftler.

Er fuhr langsam durch seine Siedlung und kam schließlich an seinem Haus an. Komisch, scheinbar waren in der letzten Zeit viele Leute bei ihm am Haus gewesen, man konnte noch deutlich die Fußabdrücke in der feuchten Erde vor seinem Haus erkennen. Viel Post steckte nicht in seinem Briefkasten. Warum auch? Er hatte keine Bekannten, Freunde oder Familie. Er dachte an seine Frau und seine kleine Tochter...„Wooh“, Type wurde ganz schwindelig von diesem ganzen emotionalen Kram. Er ging schnell ins Haus und holte sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank. Er schaltete seinen Laptop an, gab das 16 stellige Passwort ein und öffnete Google. Sein Laptop war schon alt und in der Küche gab es nur schlechten WLAN Empfang, also dauerte es einige Minuten.

Type suchte nach einem Reisebüro in seiner Nähe und suchte die Telefonnummer. Er schnappte sich das Telefon und rief sofort an. „Guten Tag, hier ist das Reisebüro Gelsenkirchen Süd, Frau Susanne Mühler am Apparat, was kann ich für sie tun?“, drang eine grelle Frauenstimme aus dem Telefon. „Hallo, hier ist Thomas Brünler, ich würde gerne in die Karibik!“ „Okay, ich werde mal nachsehen, was sich da machen lässt!...“ Type musste noch einiges bereden, doch dann war alles geklärt: Übermorgen würde er in die Karibik fliegen. Das Kofferpacken verschob er auf morgen, heute würde er sich erst einmal entspannen.

Als Type am nächsten Morgen aufwachte, saß er auf seinem Sofa und eine halbvolle Bierflasche lag auf seinen Beinen. Ein verdächtig klebriger, brauner Fleck machte sich auf seiner Hose bemerkbar. Genervt stand er auf und stellte die Flasche auf den Tisch. Er zog sich um und bemerkte, dass sein Kopf wie verrückt brummte. Type holte einen kleinen Beutel aus einem Schrank, nahm eine Tablette heraus und schmiss sie in ein Glas mit Wasser. Er wartete, bis sich die Tablette blubbernd und sprudelnd aufgelöst hatte und wollte gerade einen Schluck nehmen, als es an der Tür klingelte. „Nanu, wer mag das wohl sein?“, fragte er sich und stand ächzend auf. Als er die Tür öffnete, standen ihm mehrere Polizisten entgegen. „Oh, Polizei? Ist etwas passiert?“ Type versuchte so unschuldig wie möglich zu wirken. „Sie werden des Mordes an Herrn Professor Doktor Schröder beschuldigt! Alles, was sie jetzt sagen kann vor Gericht gegen sie verwendet werden! Sie müssen mich nun leider mit aufs Präsidium begleiten!“ Type wurden Handschellen angelegt und er wurde unsanft in Richtung Auto geschubst. Was war nur passiert? Hatte es was mit dem Mord zu tun? Type war doch ein Profi!

In der Untersuchungshaft klärte sich dann alles: Als er mit seiner Kreditkarte die Tür geknackt hatte, fiel sie ihm beim Einstecken aus der Tasche. Als die Frau die Polizisten rief, fiel sie ihnen natürlich sofort ins Auge.

Es lagen zu viele Beweise gegen Type vor. Er hatte ja nicht einmal ein Alibi. Und so kam es, dass er ins Gefängnis kam. Doch er wurde schon nach wenigen Jahren dank guter Führung entlassen.

Aber er wollte keine Morde mehr begehen. Das schwor er sich. Nun hatte er einen ehrlichen Job als Schreiner angenommen. Und sein Geschäft hatte Erfolg.

 

Jan Cichon

 

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